06.05.2012

Klarnamenzwang: Wer bist du wirklich?

Die leidige Klarnamendebatte ist im Netz seit Jahren allgegenwärtig. Zuletzt eskalierte sie, als Google+ gleich in der Startphase lustig Leute rausschmiss, weil sie so „dreist“ waren, nicht ihre echten Namen zu verwenden. Einer, der sich darüber besonders echauffierte, war der Blogger Enno Park alias Die Ennomane.

Ich fand diese Debatte damals zunächst so überflüssig wie einen Kropf. Wen interessiert schon Google+, dachte ich; und weiter: Warum regen sich die Leute auf, wenn sie rausfliegen, nachdem sie mit voller Absicht die Regeln gebrochen haben? — Aber darum ging es nicht. Es ging Enno Park und anderen darum, aufzuzeigen, wie absurd das Ganze ist und wohin es führt, wenn man sich dem widerstandslos fügt. Mittlerweile hat Enno aus seinem Klarnamen ein Kunstprojekt gemacht, beharrt darauf, Pseudonymität sei ein digitales Menschenrecht — und er hat wirklich gute Argumente gegen den Klarnamenzwang.

Begonnen hatte die Debatte allerdings schon viel früher. Das Postulat der Post-Privacy von Facebookgründer Mark Zuckerberg veranlasste beispielsweise Mitte 2010 die Betreiber des bekannten Online-Spiels „World of Warcraft“, ihren Mitgliedern per obrigkeitlichem Beschluss einen Klarnamenzwang aufs Aug zu drücken (oder drücken zu wollen), was einen Sturm der Entrüstung hervorrief.

Natürlich ziehen solche öffentlichen Debatten jedes Mal einen ganzen Schwanz an epigonalem Geschwätz nach sich. Nicht weiter verwunderlich also, wenn auch in Foren immer wieder wütend darüber gestritten wird, ob Pseudonyme / Nicknames erlaubt sein sollten oder nicht, bzw. ob jeder User verpflichtet werden sollte, seinen Klarnamen zumindest im Userprofil anzuführen.


Die ewig gleichen Argumente:

  • Ich will wissen, mit wem ich es zu tun habe.
    Häh? Inwiefern weiß ich denn bei „Heinz Müller“ eher, mit wem ich es zu tun habe, als bei „Bärchen57“? Oder soll Heinz vielleicht auch noch zwingend Geburtstdatum, Wohnanschrift, Schuhgröße und Sozialversicherungsnummer in seinem Userprofil anführen?

  • Ich agiere ja schließlich selbst unter meinem Klarnamen, also erwarte ich das auch von allen anderen.
    Was du selbst tust, ist deine Angelegenheit. Du wirst deine Gründe dafür haben. Andere haben ihre Gründe dafür, es anders zu halten als du. Wenn du das nicht akzeptieren kannst, halte dich doch einfach aus Foren und anderen Netzgemeinschaften fern, in denen Spitznamen erlaubt sind.

  • Unter dem Deckmantel der Anonymität wird gepöbelt und getrollt.
    Ja, sicher. Und? Unter Klarnamen ebenfalls. Und zwar meistens wesentlich rüder, denn wer sich nicht entblödet, seinen echten Namen unter eine Beleidigung zu klieren, der beleidigt aus Überzeugung.

  • Wer seinen Namen nicht nennen will, hat etwas zu verbergen.
    Richtig. Meistens sein Privatleben, das niemanden etwas angeht.
    Manchmal sprechen auch triftige berufliche Gründe dagegen, im Netz unter Realnamen aufzutreten. Insbesondere dann, wenn man beruflich im Netz präsent ist und dies nicht mit Hobbys und privaten Aktivitäten vermischt sehen möchte.

  • Wer nicht den Mut hat, mit seinem Realnamen zu dem zu stehen, was er sagt, dessen Geschwätz interessiert mich nicht.
    Das ist natürlich jedem selbst überlassen.
    Mit Mut hat es jedoch nur selten zu tun, wenn völlig unbekannte Menschen öffentlich unter ihrem völlig unbekannten Klarnamen firmieren. Eher mit Eitelkeit, Wichtigtuerei oder Naivität. Manchmal kommen wohl alle drei Faktoren zusammen.

Im Übrigen wäre ein echter Klarnamenzwang ohnehin nur dann durchsetzbar, wenn man von den Usern eine nachprüfbare Identifizierung verlangt. So wie beispielsweise bei PayPal, wo das angegebene Bankkonto unter demselben Namen laufen muss wie der PayPal-Account. Im Übrigen gilt zumindest in Deutschland §13 (6) TMG: »Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren."

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Die andere Seite der Medaille: Wie opportun ist es denn für den Einzelnen / die Einzelne, im Netz unter Klarnamen zu agieren?
»Wer sich heute im Netz irgendwo mit Klarnamen anmeldet, ist entweder naiv und unerfahren oder hat einen massenkompatiblen Namen, der in der Menge verschwindet«, schreibt Nutzer „stacheldraht07“ zu einem Artikel im Spiegel Online.
Dem stimme ich vollinhaltlich zu. Mit einer Ausnahme: Wer beruflich im Netz (inter)agiert, sollte dies selbstverständlich unter seinem Klarnamen tun — alles andere wäre unseriös. Auch im Sinne von personal Branding oder Reputationsmanagement kann es sinnvoll sein, im Netz unter dem Realnamen aufzutreten. Das gilt natürlich durchaus auch für jemanden, der als Autor unter seinem Echtnamen schreibt und als solcher im Netz wahrgenommen werden will.

Doch das will gut überlegt sein, denn eins ist sicher: Sobald man erstmals öffentlich unter eigenem Namen im Internet aufgetreten ist, lässt sich das nie wieder rückgängig machen. So wie in „ein bisschen schwanger gibt‘s nicht“, nur ohne die Option eines Schwangerschaftsabbruchs.

Für Forenbetreiber stellt sich die Frage nicht, da Foren ein Impressum haben müssen. Als Forenuser/in ist man meiner Meinung nach jedoch zumeist besser beraten, den Realnamen nirgendwo zu nennen. Schon gar nicht im Forenprofil. Jedenfalls dann nicht, wenn man im Netz unter diesem Namen in anderen Kontexten präsent ist und die Forenaktivitäten vom Beruflichen und/oder vom Privatleben strikt getrennt halten möchte.

Das gilt auch dann, wenn das Forenprofil nur für User zugänglich ist, denn auch das ist in einem Forum, in dem sich jeder registrieren kann, nicht „privat“.

Warum ich das so sehr betone? Ganz einfach, weil ich selbst damit vor Jahren (als ich mit meinen privaten Aktivitäten im Netz noch anonym bleiben wollte) heftig eingefahren bin. Der psychopathische Arsch, der dich googelt, unter deinem Echtnamen Lügen oder Halbwahrheiten über dich verbreitet oder deine im Telefonbuch ausgegrabene Privatanschrift und Telefonnummer ins Forum klatscht, ist immer nur einen Mausklick entfernt.

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Etwas gänzlich anderes ist ein Spiel mit Identitäten, bei dem bewusst etwas vorgetäuscht wird, womöglich gar, um Bekannten heimlich als angeblich Fremde/r gegenüberzutreten. Das ist ein Thema für sich, dem ich irgendwann einen eigenen Blogartikel widmen möchte. Üblicherweise werden Nicks aber nicht zu diesem Zweck verwendet. Und mal ehrlich: Wer sich die nötige Menschenkenntnis nicht zutraut, um im Netz ein Gegenüber einzuschätzen, egal ob es Heinz Müller oder Heinzelbärchen heißt, der sollte sich sowieso besser aus Foren usw. fernhalten.

Ich möchte mit dem Zitat eines Beitrags in der Literarchie schließen, der dort die (vor etwa zwei Jahren geführte) heftige Debatte über „Klarnamenzwang“ beschloss:

»Mich interessieren noch immer die Menschen hinter all dem Schall und Rauch, egal, ob sie ihre Klarnamen ihren Eltern verdanken oder sich täglich umtaufen.«

(nachtlichter)

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